DER FAN.
Antisemitismus im Fußball

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Folge 4 // Der FAN

Setz’ dich ein für religiöse Vielfalt

Folge 4
DER FAN

Setz’ dich ein für religiöse Vielfalt.

Ein junger Mann erzählt in diesem Film von seinem Alltag als Schüler, begeisterter Sportler und großer Fußballfan. Er berichtet aber auch von seinem Leben in der Jüdischen Gemeinde Dortmund, der er mit seiner Familie angehört und davon, dass zu seinem Alltag auch Erfahrungen mit Antisemitismus zählen, auch im Stadion.

Dr. Pavel Brunssen, Experte für Antisemitismus und Antiziganismus, gibt im Interview Einblicke in den immer noch verbreiteten Antisemitismus innerhalb der deutschen Fußball-Fankultur.

Was ist Antisemitismus?

Als Antisemitismus bezeichnet man eine feindliche Einstellung gegenüber Jüdinnen und Juden. Dazu zählt die Verbreitung von Lügen, die Abwertung durch Beleidigungen oder körperliche Gewalt. Wenn Menschen den jüdischen Staat Israel ablehnen und ihm das Existenzrecht absprechen, nennt man das Antizionismus. Häufig werden Antisemitismus und Antizionismus gemeinsam vertreten.¹

In der Vergangenheit war für viele Christinnen und Christen das Judentum an der Kreuzigung von Jesus Christus schuld, was historisch nicht stimmt. Dennoch wurden Jüdinnen und Juden in Deutschland auf dieser Grundlage bereits im Mittelalter verfolgt, vertrieben und getötet. Ihnen wurde die Ausübung vieler Berufe verboten; Ausnahmen stellten Handel und Geldverleih dar. Daraus entstand zum Beispiel das Vorurteil des „geldgierigen“ Juden. Dieses Vorurteil existiert bis heute. 

Während der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) entwickelte sich ein rassistischer Antisemitismus: Die Nationalsozialisten entwickelten eine Rassentheorie aus der sie ableiteten, dass es eine schlechte „jüdische Rasse“ geben würde, die sich keinesfalls mit der besseren „arischen Rasse“ vermischen durfte. Wissenschaftlich ist heute widerlegt, dass es so etwas wie Menschen“rassen“ gibt.² Das diktatorische NS-Regime ließ auf dieser Basis fast sechs Millionen jüdische Menschen in Vernichtungslager transportieren und dort umbringen. Dieser grausame Völkermord wird Holocaust oder auch Shoa genannt. 

Obwohl viele Gedenkstätten an die furchtbare Ermordung von fast sechs Millionen Menschen erinnern, ist Antisemitismus auch heute in Deutschland verbreitet.³

¹ Thomas Haury/Klaus Holz, „Israelbezogener Antisemitismus“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 73/18-19 [2023], S.38-45.

² Vgl. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/213673/rassen-gibt-s-doch-gar-nicht/

³ https://de.statista.com/infografik/30975/umfrage-zu-antisemitischen-einstellungen-in-deutschland/

In den letzten Jahren hat sich die antisemitische Haltung vieler Menschen in Deutschland weiter verstärkt.⁴

Antisemitismus findet sich auch immer häufiger in sogenannten Verschwörungserzählungen, also Behauptungen oder Vermutungen darüber, was eine kleine Gruppe von Verschwörerinnen und Verschwörern geplant haben könnte, um bestimmte Ziele zu erreichen. 

Antisemitismus zeigt sich unter anderem bei Anhängerinnen und Anhängern, die an eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“ glauben. Dieser Verschwörungserzählung zufolge würden einige wenige Jüdinnen und Juden nach der Weltherrschaft streben und dafür Menschen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft manipulieren. Das ist natürlich totaler Unsinn. 

Jüdinnen und Juden trauen sich wegen des steigenden Antisemitismus immer weniger, ihren Glauben in der Öffentlichkeit auszuleben oder sich als Jüdinnen und Juden zu bezeichnen – obwohl die Religionsfreiheit durch das deutsche Grundgesetz geschützt wird. Einige denken sogar darüber nach, aus Angst vor Gewalt in andere Länder auszuwandern.⁵

Was kannst du gegen Antisemitismus tun?

Wenn sich eine Person im Stadion, auf dem Fußballplatz oder daneben antisemitisch äußert, d.h. sich abwertend gegenüber einer Person äußert oder verhält nur weil diese – tatsächlich oder angeblich – jüdisch ist, kannst auch du etwas tun. Aber was genau?

  • Sei aufmerksam: Als allererstes solltest du im Alltag aufmerksam sein und Situationen genau beobachten. Außerdem solltest du dich und dein Denken über andere Personen regelmäßig hinterfragen: Grenze ich eine andere Person mit einer Frage, einer Aussage oder einer Handlung vielleicht aus? 
  • Informiere dich: Informiere dich über die Geschichte des Judentums sowie über die Auswirkungen von Antisemitismus. Verstehen hilft, Vorurteile abzubauen.
  • Zeige Zivilcourage: Wenn du antisemitische Aussagen oder Handlungen bemerkst, sprich dagegen. Es ist wichtig, nicht wegzuschauen, sondern klar zu sagen, dass solche Einstellungen und Verhaltensweisen nicht akzeptabel sind.
  • Zeige Solidarität: Unterstütze jüdische Freundinnen und Freunde und Gemeinschaften. Zeige ihnen, dass sie nicht allein sind und dass du an ihrer Seite stehst.
  • Mache Dir Notizen: Du kannst Fälle von Antisemitismus aufschreiben mit Ort, Uhrzeit und einer Beschreibung – das ist besonders dann wichtig, wenn du antisemitische Vorfälle später bei deinen Lehrerinnen und Lehrern, bei der Polizei oder bei Meldestellen melden möchtest.
  • Engagiere Dich: Unterstütze Organisationen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen, zum Beispiel bei MAKKABI Deutschland e.V. oder der Amadeu Antonio Stiftung. 

Wenn du dich näher mit dem Thema beschäftigen willst, gibt es viele hilfreiche Videos, Bücher, Podcasts und andere Materialien.⁶ Sie können dir dabei helfen, das Thema Antisemitismus besser zu verstehen.

Gibt es nicht auch eine Diskriminierungsform, die muslimische Menschen und solche Menschen benachteiligt, weil sie wegen ihrer Sprache, Haarfarbe oder Kleidung als Musliminnen und Muslime wahrgenommen werden?

Ja, in Deutschland gibt es antimuslimischen Rassismus. Das ist eine spezifische Form des Rassismus, der Musliminnen und Muslime bzw. Menschen, die als muslimisch wahrgenommen werden, ausgrenzt.

Die Geschichte der Feindlichkeit gegenüber muslimischen (bzw. z.T. muslimisch gelesenen) Menschen reicht weit zurück, bis in die Zeit der Kreuzzüge im Mittelalter. Im 18. und 19. Jahrhundert zeigte sich Muslimfeindlichkeit⁸ in Form des sogenannten „Orientalismus“, der „den Orient“ – damit waren aus europäischer Sicht vor allem Gebiete in der heutigen Türkei, dem Iran, auf der arabischen Halbinsel und Nordafrika gemeint – als etwas besonders ‚Exotisches‘ darstellte. 

In allen Fällen von antimuslimischem Rassismus werden Musliminnen und Muslime als etwas ‚Anderes‘ gezeichnet, das nicht zur europäischen Kultur passt. Das ist natürlich Quatsch, denn einerseits gehört der Islam schon seit Jahrhunderten zu Europa und andererseits hat die „europäische Kultur“ den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sehr viel zu verdanken, wie z.B. die arabischen Zahlen, wichtige Erkenntnisse aus der Medizin, der Astronomie, der Musik, der Literatur oder der Technik.

Muslimfeindliche Menschen zeichnen ein durchgängig negatives Bild von der islamischen Weltreligion, zum Beispiel indem sie sich abfällig über den Islam oder über Musliminnen und Muslime äußern. Außerdem reduzieren islamfeindliche Menschen alle Musliminnen und Muslime nur auf ihre Religion, die sie grundsätzlich ablehnen und vergessen dabei, dass die menschliche Identität sehr vielfältig ist. Das ist besonders gefährlich, weil eine große Menschengruppe in Deutschland aufgrund von antimuslimischem Rassismus ausgegrenzt wird.

Zwei Beispiele:

  • Musliminnen und Muslime haben es laut einiger wissenschaftlicher Studien in Deutschland sehr viel schwerer, eine Wohnung zu bekommen⁹ oder zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.¹⁰
  • Bis 2011 gab es im Bundesland Baden-Württemberg spezielle Einbürgerungstest für muslimische Bewerberinnen und Bewerber auf die deutsche Staatsbürgerschaft. In diesen Tests sollte die „Gesinnung“ überprüft werden. Nach viele Protesten wurde die als „Muslimtest“ bekannt geworden Prüfung schließlich abgeschafft.

Nach dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 und weiteren islamistischen Attacken in Europa wurden – und werden noch immer – viele Musliminnen und Muslime mit „Terrorgefahr“ in Verbindung gebracht, zum Beispiel an Flughäfen oder öffentlichen Plätzen.¹¹ Das ist besonders deshalb problematisch, weil sich nur ein ganz kleiner Bruchteil der Musliminnen und Muslime – wie zum Beispiel die Mitglieder der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) – als „islamistisch“, also als politisch extrem und gewaltbereit bezeichnen lässt.

Gibt es nicht auch Diskriminierung von ‚asiatisch‘ gelesenen Menschen?

Ja, auch das gibt es leider. Menschen, die als ‚asiatisch‘ wahrgenommen werden, leiden auch in Deutschland unter rassistischen Beschimpfungen, Ausgrenzung und körperlicher Gewalt. Damit verbunden sind viele rassistische Stereotype, Klischees und Vorstellungen, die negative Auswirkungen für die betroffenen Personen haben können. 

Antiasiatischer Rassismus hat in Deutschland eine lange und gewalttätige ‚Geschichte‘, zum Beispiel mit diesem Ereignis im Jahr 1898: Damals hatte das deutsche Kaiserreich die Kolonie Kiautschou in China besetzt und die dort lebenden Chinesinnen und Chinesen mit rassistischen Praktiken unterdrückt, Widerstände wurden brutal niedergeschlagen.¹²

Fast 100 Jahre später kam es in den deutschen Städten Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) zu gewaltsamen Angriffen gegen asiatisch wahrgenommene Menschen: Rechtsradikale haben dabei Wohnhäuser angegriffen, in denen vor allem Vietnamesinnen und Vietnamesen lebten, während viele Menschen applaudierten und auch die Polizei zunächst nicht eingriff. 

Obwohl diese beiden gewaltvollen Ereignisse bekannt sind, hat man sich in Deutschland bis heute nur sehr wenig mit anti-asiatischem Rassismus auseinandergesetzt – mit fatalen Folgen für alle betroffenen Menschen. Das hat auch die Corona-Pandemie gezeigt, als anti-asiatischer Rassismus wieder weit verbreitet wurde:¹³ Da der erste bekannte Fall der Infektionskrankheit in der chinesischen Stadt Wuhan ausbrach, brachte man asiatisch gelesene Menschen häufig mit der Krankheit in Verbindung und grenzte sie deshalb aus.

Michail Logvinov, Muslim- und Islamfeindlichkeit in Deutschland. Begriffe und Befunde im europäischen Vergleich, Wiesbaden: Springer VS 2017.

⁸ Muslimfeindlichkeit (auch Islamfeindlichkeit) sind Begriffe, die als Stereotype auf individueller Ebene verwendet werden. Der Begriff „Antimuslimischer Rassismus” hat mehr strukturellen Charakter und ist ganzheitlicher, da er auch Rassismusformen beinhaltet, die nicht unmittelbar mit Religion in Verbindung gebracht werden. (https://www.bpb.de/themen/infodienst/302514/was-ist-antimuslimischer-rassismus/)

⁹ Inke Du Bois, „Linguistic discrimination across neighborhoods. Turkish, US-American and German names and accents in urban apartment search“, in: Journal of Language and Discrimination 3/2 [2019], S.92-119.

¹⁰ Doris Weichselbaumer: „Discrimination against Female Migrants Waring Headscarves”, in: Industrial and Labor Relations Review, 73/3 [2020], S.600-627. 

¹¹ Iman Attia/Ozan Zakariya Keskinkiliç/Büsra Okcu, Muslimischsein im Sicherheitsdiskurs. Eine rekonstruktive Studie über den Umgang mit dem Bedrohungsszenario, Bielefeld: transcript 2021, S.13-21.

¹² Kiautschou: Deutsche ‚Musterkolonie‘ in China?“, in: Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.): ‚… Macht und Anteil an der Weltherrschaft‘. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S.203-212.

¹³ Sabrina Mayer u.a., Soziale Kohäsion in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie und antiasiatischer Rassismus in Deutschland. Außenperspektive quantitative Erhebungen. Datensatz Version: 1.0.0. SUF C. Berlin: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) 2022.

Und was ist mit Antiziganismus oder Gadjé-Rassismus?

Antiziganismus oder Gadjé-Rassismus ist eine Form der rassistischen Diskriminierung, die sich gegen Roma und Romnja sowie gegen Sinti und Sintize richtet. Um die Begriffsbezeichnung wird kontrovers diskutiert. Manche kritisieren den Begriff „Antiziganismus“, da er auf der diskriminierenden Fremdbezeichnung „Zigeuner“ basiert. Als Alternative wird „Gadjé-Rassismus“ vorgeschlagen. Der Begriff ‚Gadjé‘ bezeichnet die Gruppe, von der der Rassismus gegen Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja ausgeht. 

Als Sinti und Sintize werden Angehörige einer Minderheit bezeichnet, die sich über Jahrhunderte überwiegend in West- und Mitteleuropa angesiedelt haben. Roma und Romnja sind Teil einer Minderheit, die meist in Südost- und Osteuropa wohnen. 

Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja leben seit über 600 Jahren in Deutschland und sprechen neben Deutsch die Minderheitensprache Romanes. Ab dem 15. Jahrhundert wurden Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja in Europa verfolgt und unterdrückt.¹⁴  

In Deutschland wurden ab 1899 rassistische Gesetze erlassen, mit dem Ziel, Angehörige der Minderheiten systematisch zu erfassen, zu beobachten und im schlimmsten Fall sogar abzuschieben – obwohl die allermeisten Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger waren. 

Während des Nationalsozialismus sollten die beiden Minderheiten aus rassistischen Gründen ‚ausgelöscht‘ werden: Schätzungsweise mehrere hunderttausend Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja fielen dem Völkermord durch die Nationalsozialisten zwischen 1939 und 1945 zum Opfer. Lange Zeit mussten Angehörige der Minderheiten dafür kämpfen, dass die systematische Ermordung in der Nazi-Zeit als Völkermord anerkannt wird. Das geschah erst im Jahr 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.

Noch heute ist Antiziganismus oder Gadjé-Rassismus ein großes Problem in Deutschland. Die Angehörigen der Minderheiten werden noch immer ausgegrenzt und diskriminiert, z.B. von der Polizei oder bei der Wohnungssuche, oder werden in den Medien negativ dargestellt.¹⁵

¹⁴ Karola Fings, Sinti und Roma: Geschichte einer Minderheit, München: C.H. Beck 2019. 

¹⁵ Roxanna-Lorraine Witt, „Gadjé-Rassismus. Ein analytischer Perspektivwechsel auf Kontinuiäten menschenfeindlicher Ideologien in weißer Kultur und Identität“, in: Onur Suzan Nobrega/Matthias Quent/Jonas Zipf (Hg.), Rassismus. Macht. Vergessen. Von München über den NSU bis Hanau: Symbolische und materielle Kämpfe entlang rechten Terrors, Bielefeld: transcript 2021, S.125-144.

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